Zucker

Zucker

ISBN 978-3-937676-11-1
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Vorurteile über Zucker
Gesamtausgabe

Zucker, das weiße rieselnde Pulver hat nicht nur in der Geschichte munter schon die Gemüter erhitzt. Zucker war vor 150 Jahre so wertvoll, dass er zuhause nur in abschließbaren Dosen gelagert wurde, war einer der großen Streitpunkte in der Welthandelsrunde von Doha, ist ein lupenreines Naturprodukt, und, weil es um den Zucker offensichtlich nie langweilig wird, nunmehr in der Diskussion als das „weiße Übel“.
Zeit also, sich mit Zucker in dem beliebten Format der 60 min Books auseinanderzusetzen, um mit scharfem Geist, Humor und Fakten, den gängigen Vorurteilen auf den Leib zu rücken.

Inhaltsverzeichnis


Die süße Frage


1. Löffel
Zucker macht dick.

2. Löffel
Zucker wird überall versteckt.

3. Löffel
Zucker macht die Zähne kaputt.

4. Löffel
Zucker macht süchtig.

5. Löffel
Zucker wird von unserem Körper gar nicht benötigt.

6. Löffel
Zucker ist Chemie.

7. Löffel
Zucker macht Krebs oder Diabetes oder beides.

8. Löffel
Zuckeranbau macht die Natur kaputt.

9. Löffel
Zucker ist ein Milliardengeschäft.

10. Löffel
Zucker hat seine eigene Lobby und Mafia.

11. Löffel
Zucker gehört einfach nicht in eine gesunde Ernährung.

12. Löffel
Zucker kann man einfach weglassen.


Die süße Wahrheit

 

Leseprobe:

Die süße Frage:
Haben Sie heute schon Zucker gegessen?

Natürlich haben Sie.
Manchmal ganz bewusst, manchmal ohne es zu bemerken aber immer mit Genuss.
Bereits eine kurze Analyse unserer Ess- und Trinkgewohnheiten fördert ja unter anderem zu Tage, dass wir drei Viertel des Zuckers, den wir zu uns nehmen, nicht selbst in unser Essen getan haben. Und dass das andere Viertel quer über alle Altersstufen Kontinente und Einkommensklassen zu den Highlights des Tages gezählt wird – von der Erdbeermarmelade auf dem Frühstücksbrötchen bis zum Betthupferl am Abend.

Dafür, dass sich Zucker in den letzten zweihundert Jahren einen wichtigen Platz auf unserem Nährstoffzettel erobert hat, gibt es vier gute Gründe. Sie sorgen dafür, dass Zucker einer der spannendsten Stoffe unserer Zeit geworden ist.

Grund Nr. 1: Zucker ist erstaunlich vielfältig.
Es gibt ja nicht nur das weiß funkelnden Rieselzeugs aus Omas Zuckerdöschen, das wir normalerweise mit „Zucker“ in Verbindung bringen, zu „Zucker“ gehören eine ganze Reihe von Mono-, Di- und Polysacchariden mit teils sehr unterschiedlichen Wirkungen und Eigenschaften. Wir werden uns hier nur mit den Monos und Dis beschäftigen, denn das lohnt auch für Nicht-Biologen: Wer dafür zum Beispiel durch das Lesen dieses Büchleins den energetischen Gegenwert eines King-Size-Schokoriegels plus ein oder zwei Dosen Cola aufwendet, wird mit etlichen Aha-Erlebnissen belohnt. Und was schon für Salz, die Steuererklärung und den programmierbaren Videorecorder galt, gilt für Zucker in gleichem Maße: Je besser wir etwas verstehen, desto entspannter können wir damit umgehen.

Grund Nr. 2: Zucker macht glücklich.
Das Lächeln auf dem Gesicht eines kleinen Kindes, das zum ersten Mal die süße Muttermilch kostet, ist so überwältigend und unmittelbar natürlich, es hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem seligen Lächeln der Verliebten, was daran liegen könnte, dass es angeboren ist. Die Biologen haben diesem Lächeln den eher kühlen Namen „Süßpräferenz“ gegen, aber vielleicht lagen die Erfinder des Zuckers, die Bewohner Melanesiens im Südpazifik gar nicht so falsch, als sie die Entstehung der Menschheit einem Paarungsakt zwischen Mann und Zuckerrohr zuschrieben. Spätestens seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung weiß auch die Nordhalbkugel, dass das „Streben nach Glück“ zu unseren angestammten Rechten zählt. Und dazu gehört, siehe oben, auch das kleine süße Glück, das uns Zucker schenkt

Grund Nr.3: Zucker ist das mit weitem Abstand leckerste Zeug der Welt.
Mögen manche auch je nach Wohnort und Geldbeutel vehement für Austern, Heuschreckensalat oder den Giant Tripple Beef Cheese Hamburger De Luxe als die Pforte ins gustatorische Paradies plädieren, aber die Zahlen lügen nicht:
183 Millionen Tonnen Zucker wurden 2013 auf der Welt produziert und landeten früher oder später meistens dort, wo bei unseren Ur-Urahnen noch gegorener Gerstenbrei oder angekokeltes Mammut für anerkennendes Schmatzen am Lagerfeuer sorgte.

Das alles ist schon spannend genug, aber das Beste kommt jetzt.

Grund Nr. 4: Zucker ist eine gute Nachricht
Während der Kommentar „Das ist voll fett, ey!“ in seiner bewundernden Bedeutung ausschließlich von Menschen mit tief hängenden Hosen und gerade genug Englischkenntnissen, um die Texte ihrer Lieblings-Hiphop-Band komplett misszuverstehen, verwendet wird, kommt auch heute noch bei dem Ausruf: „Das ist aber süß!“ niemand außer ein paar hauptberuflicher Zeigefingerbenutzern auf die Idee, Schlechtes dabei zu denken.

Im Gegenteil:
Die Gleichung Süß = Gut ist seit Millionen Jahren tief in uns verankert. Und das war während der Menschheitsgeschichte auch absolut sinnvoll. Süßer Geschmack ist die Lieblings-Methode von Mutter Natur uns mitzuteilen, dass ein Nahrungsmittel nicht giftig ist – eine lebenswichtige Information, solange wir noch in halbgebückter Haltung durch die Wälder streiften, statt in halbgebückter vor der Tiefkühltruhe zu stehen – und dass jenes Nahrungsmittel Kohlenhydrate in schnell zugänglicher Form enthält. Als Spezies mit außergewöhnlich hohem Energiebedarf waren schnelle Kohlenhydrate während Millionen von Jahren der Nahrungsbeschaffung ein ernährungstechnischer Sechser im Lotto.

Spätestens seit der Erfindung von Brühwürfeln, Drive-Inns und Dosenöffnern (letztere erst 1858, mühsame 48 Jahre nach Erfindung der Konservendose) ist die ständige Verfügbarkeit von mehr als ausreichenden Mengen an Kalorien in vielen Teilen der Welt kein echtes Problem mehr. Was jede Menge neue Probleme geschaffen hat und uns zu der zweiten, eigentlich entscheidenden Frage führt:

Wie geht man richtig mit einem Überangebot an Nahrung um?

Früher war das einfacher. Da verbrauchte man ungefähr die gleiche Menge Kalorien, um das Mammut-Schenkel vor die Höhle zu zerren, wie einem der Mammutschenkel dann an Kalorien zurück gab. Heute kostet uns die Nahrungsbeschaffung so viel Energie, wie ein Gang durch den Supermarkt eben kostet. Und da wir offensichtlich nur deshalb von den Bäumen heruntergestiegen sind um den Rest unseres Lebens auf Stühle jeder Art zu klettern, kommt zu dem Überangebot an Nahrung ein Unterangebot an Bewegung.

Dass wir also heutzutage nicht immer optimal in unserem modernen Schlaraffenland zurechtkommen weiß jeder, der schon mal mit eigentlich gar nicht so großem Hunger an ein überbordendes Buffet getreten ist, nur um mit einem hochgestapelten Berg aus Kohlenhydraten, Fett, Eiweiß und schlechtem Gewissen an seinen Tisch zurückzukehren.
Das gilt natürlich auch für alles Süße, wobei uns beim Thema Zucker zwei Umstände das Maßhalten noch erschweren: Erstens: Zucker kommt selten allein, sondern gern mal mit jeder Menge Fett, worüber Schokoladenhersteller und die M
agnum-Werbung bekannterweise nicht viele Worte verlieren. Der zweite Umstand ist so alt wie unsere Spezies: Evolutionär betrachtet gab es für die Natur keinen Grund, unserem Körper einen Stopp-Mechanismus gegen einen Stoff mitzugeben, der über Jahrmillionen hinweg sowieso nur in homöopathischen Dosen auf unserem Speiseplan stand und der für uns ein wichtiger Indikator für sichere Nahrung war.
Bei vielen anderen Dingen haben wir einen natürlichen „Jetzt reicht´s!“-Alarm, der uns wirkungsvoll (das „Bäh!“-Gesicht bei Salz) bis rabiat (das „Vom Stuhl kippen“ bei Alkohol) mitteilt, dass jetzt mal besser Schluss sein sollte. Bei Zucker, Fett und manchen anderen Dingen ist dieser Stopp-Mechanismus viel schwächer ausgeprägt.

Das war noch am Ausgang des Mittelalters kein Thema, als man für den damaligen Gegenwert von zwanzig Euro in der Apotheke (!) drei Stück Würfelzucker mit insgesamt zwölf Gramm Gewicht bekam (womit auch die Herkunft des Begriffs „Apothekenpreise“ geklärt wäre). Wahlweise konnte man sich natürlich für ein Kilo des weißen Goldes auch von seinen zwei Lieblings-Mastochsen verabschieden, wie es aus dem Jahr 1378 verbürgt ist. Für die heutige durchschnittliche deutsche Zucker-Jahresration von 35kg hätte man also sein Erbteil verschleudern müssen – gesetzt den Fall, man hatte ein anständiges Erbe in Aussicht und irgendjemand in 1000 Kilometer Umkreis 35 Kilo Zucker zur Hand, was natürlich nicht der Fall war. Heute bekommt man das Kilo Feinraffinade im Discounter seiner Wahl ab 70 Cent. Das entspricht in etwa einer Verbilligung um den Faktor 2000.

Weil wir uns also insgesamt energiereicher ernähren uns aber gleichzeitig körperlich viel weniger betätigen als in der guten alten Steinzeit oder selbst vor hundert Jahren, als der Braten, wenn es ihn überhaupt gab, nur ein Sonntagsvergnügen war, lohnt es auf jeden Fall, genauer auf die eigene Ernährung zu achten – auch und gerade weil im Bereich Ernährung die Zusammenhänge sehr kompliziert sind und so verschiedene Faktoren umfassen, wie Ballaststoff-Anteil, Freude an Bewegung, Genetik und die gute alte Erziehung. Erst wenn hier vieles parallel schief läuft, erst, wenn Burger-reiche Ernährung auf Sportschuhe trifft, die ausschließlich aus Styling-Gründen getragen werden und Eltern ihren Kindern nicht mehr klar machen, dass Nachtisch toll ist, solange er nicht die einzige Mahlzeit darstellt, dann kann es in der Tat schwierig werden.

Das ist also Zucker:
Ein überaus spannender Stoff, der oft missverstanden wird, glücklich macht, extrem lecker ist, praktisch nichts kostet und erstaunlich verführerisch ist.

Macht ihn das zur Droge, wie manche behaupten?

Mal ganz davon abgesehen, dass jede Droge, die etwas auf sich hält, weder lecker noch günstig ist, würde das den Umgang mit diesen süßen Molekülchen natürlich extrem vereinfachen: Man erklärt sie einfach zu legitimen Nachfolgern des alten Erzfeindes Tabak und nimmt sie mit einem Bündel aus Verboten und Warnhinweisen auf Lollipackungen in den politisch korrekten Würgegriff. Das wäre, wie wir sehen werden, ungerecht und würde kaum funktionieren, aber wenigstens wäre die rastlose Armee der selbsternannten Gesundheitsapostel und Lebensoptimierer für eine Weile beschäftigt, was uns Übrigen die Gelegenheit gäbe, noch etwas länger Pommes Rot Weiß oder Fresh Fried Onion Cheese Chips zu genießen, bis auch auf sie der eifernde Blick der Menschheitsbeglücker fallen würde wie das lidlose Auge Saurons auf die Halblinge im Herrn der Ringe. Keine schöne Vorstellung.

Nicht, dass wir uns missverstehen:
Zucker, darüber werden wir den Rest dieses Büchleins nicht weiter streiten, Zucker ist ein erstaunlicher Stoff, verführerisch und gerade deswegen auch eine Herausforderung. Aber Zucker ist auch dies: reiner, purer, natürlichster Genuss und wie jedes wundervolle Ding auf dieser Erde wert, mit zwei Dutzend Warnaufklebern versehen zu werden. Gleiches gilt für Moet et Chandon, Sex, Schokolade, Radfahren ohne Helm, Sich-Verlieben ohne Platz auf einer Therapeuten-Warteliste und ein Leben als HSV-Fan.
Das Schöne und das Lustvolle, das, was unser Leben erst lebenswert macht, ist seiner Natur nach immer zwiespältig und leider, leider hat Mae West, die Hollywood-Sexbombe mit dem IQ eines Atomphysikers nicht immer Recht, wenn sie sagt: „Zuviel von einer guten Sache ist wunderbar!“ Aber ist das allen Ernstes ein Grund, über alles, was lustvoll und in Überdosis möglicherweise unvernünftig ist mit erhobenen Zeigefingern den deprimierend grauen Schleier des Bedenkentums zu werfen?

Ist es nicht. Natürlich nicht.
Es sei denn, wir möchten in einer Welt leben, die auf subtile, schein-freiwillige Weise noch gegängelter ist, als es der Staatssozialismus der guten alten Zeit je zu sein vermochte. Der konnte seinen Insassen wenigstens wirklich weder Bananen noch Schweizer Schokolade noch brauchbaren Schampus bieten und musste sich jede Colaflasche heimischer Produktion mühsam aus dem Fünfjahresplan quetschen. Wir dagegen, wir haben all das und nichts Besseres zu tun, als es uns selbst madig zu machen, anstatt… Ja, anstatt was? Anstatt wieder eine gesunde Beziehung zu dem zu finden, was uns lockt und schmeckt und glücklich macht. Indem wir zum Beispiel aus Zucker wieder ein echtes Genussmittel machen, ganz bewusst eingesetzt, mit Augenmaß verwendet – aber dann in vollen, politisch unkorrekten, rücksichtslos lächelnden Zügen genossen.

Darum geht es in diesem Büchlein.
Um eine Annäherung an einen Stoff, der uns so viel Genuss schenken kann, wenn wir ihn besser verstehen und klüger einsetzen würden. Denn Zucker selbst ist natürlich nicht wirklich das Problem. So wenig wie Fett oder Salz oder Pommes Rot-Weiß das Problem sind. Das Problem sind natürlich wir, unsere Gedankenlosigkeit und die Dosis von – von eigentlich allem.

Aber der Reihe nach.